02.05.2023 | 10:40
Geflüchteten Menschen eine Chance bieten
Lahn-Dill-Kreis, GWAB und Agentur für Arbeit starten Projekt „Arbeit und Asyl“
16 junge Männer sitzen in einem Klassenraum, es ist sehr still. Alle hören konzentriert zu und schreiben mit, als Sezer Ertürk Plural-Formen abfragt. Er ist Mitarbeiter in der Abteilung Zuwanderung und Beruf bei der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung, Ausbildungs- und Beschäftigungsinitiativen (GWAB) und unterrichtet aktuell Geflüchtete in Deutsch. „Das Haus – wie heißt dann der Plural?“, fragt er. „Hauser?“, antwortet ein junger Mann zögerlich. Sezer Ertürk sagt: „Versuchen Sie es noch einmal mit Umlaut.“ Schon kommt die Antwort mehrstimmig aus den Reihen: „Häuser!“
Der Kurs, in dem die jungen Männer erste Grundkenntnisse in Deutsch erwerben, ist kein Integrationskurs. „Aktuell ist die Wartezeit für einen Integrationskurs sehr lang, sodass wir nun ein Pilotprojekt starten und die Menschen erst in Arbeit bringen möchten und danach die Deutschkenntnisse erweitern“, erklärt Anne Peter-Lauff, Abteilungsleiterin für Soziales und Integration beim Lahn-Dill-Kreis bei der Auftaktveranstaltung des Projektes „Arbeit und Asyl“, das ihre Abteilung initiiert hat.
In enger Zusammenarbeit mit der GWAB und der Agentur für Arbeit Limburg-Wetzlar ist ein Konzept entstanden, das die geflüchteten Menschen für den Arbeitsmarkt im Lahn-Dill-Kreis vorbereitet. In vier Wochen lernen sie zunächst erste deutsche Wörter und Sätze, um sich verständigen zu können. Danach folgen etwa vier Wochen Praktikum in einem der GWAB-eigenen Betriebe, wo die Talente der Projekt-Teilnehmer gefördert werden. „Danach vermitteln wir die Menschen an die regionalen Unternehmen für ein Praktikum. Bewerber und Firmen können dann testen, ob sie zueinander passen. Ziel ist es, die Geflüchteten in ein reguläres Arbeitsverhältnis oder eine Aus- oder Weiterbildung zu überführen“, erläutert Anne Peter-Lauff.
Seit dem 3. April 2023 läuft das Pilotprojekt. Aktuell lernen die 17 jungen Männer, die zunächst in der Gemeinschaftsunterkunft Finsterloh in Wetzlar untergebracht waren, Deutsch. Cigdem Aslanboga ist eine der GWAB-Mitarbeiterinnen, die das Projekt vor einigen Wochen in der Notunterkunft vorstellte. „Die Liste, die wir danach ausgehängt haben, um das Interesse zu ermitteln, war schnell sehr voll“, sagt sie. Die Männer seien hochmotiviert gewesen.
In Absprache mit den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern vor Ort starteten 17 Männer zwischen 20 und 40 Jahren, die fast alle bereits Erfahrung in Handwerk oder Dienstleistung haben, mit dem Deutschkurs. Täglich lernen sie sechs Stunden die deutsche Sprache – vormittags im Frontalunterricht und nachmittags selbstständig am PC mit einem Sprachlernprogramm. „Wir können nur rudimentäre Sprachkenntnisse vermitteln, der Kurs ersetzt keinen Integrationskurs“, betont Nicole Bodensohn, Geschäftsführerin der GWAB. Diesen acht Monate dauernden Kurs werden die Männer später absolvieren, wenn möglich parallel zu ihrer Arbeit.
Für die Arbeitgebenden und die Geflüchteten ist das Konzept rechtlich sicher. Die Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, dürfen in der Regel nach drei Monaten arbeiten. Unternehmen und Handwerksbetriebe können zudem verschiedene finanzielle Förderungen beantragen, um die Integration Geflüchteter gewährleisten zu können. Federführende Anlaufstelle für die Wirtschaft im Lahn-Dill-Kreis ist in diesem Fall die Agentur für Arbeit Limburg-Wetzlar. Jessica Crone, Geschäftsführerin Operativ bei der Agentur für Arbeit, erklärte den anwesenden Unternehmerinnen und Unternehmern in der Auftaktveranstaltung, welche Möglichkeiten sie haben. Sie werden während des Pilotprojektes bereits früh mit eingebunden. „Wenn die Menschen den Deutschkurs bei der GWAB erhalten, werden sie bereits arbeitssuchend bei uns gemeldet“, sagte Jessica Crone. So sei es nach Deutschkurs und GWAB-internem Praktikum einfacher möglich, bereits passende Unternehmen für die Menschen zu finden. Sollte das Praktikum in ein Ausbildungsverhältnis münden, unabhängig vom Alter des Auszubildenden, sei beispielsweise auch eine sozialpädagogische Unterstützung möglich.
In der Auftaktveranstaltung im Kreishaus wurde deutlich, dass sich die heimischen Unternehmen vor allem die Sicherheit wünschen, dass die Geflüchteten auch langfristig in Deutschland bleiben dürfen. Sorgen bereitet ihnen, dass vor allem kleinere Handwerksbetriebe es nicht leisten können, Menschen nur mit rudimentären Deutschkenntnissen einzustellen, da sie nicht die Kapazität haben, jemanden extra zur Betreuung abzustellen. Die größte Hürde ist wohl die Sicherheitseinweisung. Industrieunternehmen können meist auf standardisierte Einweisungen zurückgreifen. Allerdings gilt das nicht für Handwerksbetriebe. Für jede Baustelle benötige es eine individuelle Sicherheitseinweisung. Wie das gelöst werden könnte, wollen Kreis-Handwerkerschaft und IHK auch gemeinsam erarbeiten.
Zwei positive Beispiele sollten mögliche Hemmschwellen abbauen. So erzählte beispielsweise Mahnoor Baig, die aus Pakistan stammt, von ihren ersten Schritten im Arbeitsleben, ohne Deutschkenntnisse. Sie war zwei Jahre lang im Flüchtlingsbüro des Lahn-Dill-Kreises angestellt und unterhielt sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen zunächst fast ausschließlich auf Englisch. „Alle hatten sehr großes Verständnis für mich“, erzählt sie. Mittlerweile arbeitet sie für die GWAB.
„Wir können nur dafür werben, dieses Projekt jetzt zu unterstützen und uns frühzeitig um die Menschen zu kümmern. So bleiben sie motiviert und geben der Gesellschaft, die für sie für die Unterbringung zahlt, auch etwas zurück“, sagte Landrat Wolfgang Schuster zum Auftakt.