19.05.2021 | 10:25

Bildungschancen im Lahn-Dill-Kreis – wie wirken sich die Corona-bedingten Einschränkungen aus?

Kitas in der Notbetreuung / Homeschooling / fehlende Berufsorientierung / Volkshochschulen geschlossen

Foto: Lahn-Dill-Kreis

Foto: Lahn-Dill-Kreis

Die derzeitige Situation verlangt den Menschen viel ab. Die Einschränkungen im Bildungsbereich sind enorm. Bereits seit mehr als einem Jahr finden keine regulären Bildungsprozesse mehr statt. Die ersten Studien (siehe Kasten) bilden Vorboten einer sich verstärkenden Bildungsungleichheit ab. Der Lenkungskreis der Bildungslandschaft Lahn-Dill hat hierüber diskutiert und bezieht klar Position: Es braucht eine gemeinsame Kraftanstrengung, um die kognitiven und sozialen Defizite auszugleichen bzw. die Bildungsschere nicht noch weiter aufspringen zu lassen. „Wir erkennen, dass diejenigen, die bereits vor Corona eine erschwerte Bildungsteilhabe hatten, jetzt noch mehr Schwierigkeiten haben, den Anschluss zu halten“, so Heinz Schreiber, Vorsitzender der Bildungslandschaft Lahn-Dill und Schuldezernent des Lahn-Dill-Kreises.

Familien

„Insgesamt kommen inzwischen aber alle an ihre Grenzen“, so Andreas Kreuter, Leiter des Jugendamtes des Lahn-Dill-Kreises. Bei den Familien ist eine gewisse Erschöpfung festzustellen, das Auf und Ab der Entscheidungen sind belastende Faktoren, so Kreuter weiter. „Die notwendigen Einschränkungen in Zeiten der Pandemie, z.B. im Zusammenhang mit der Kindertagesbetreuung, haben nicht selten sehr belastende Auswirkungen auf Kinder und Familien. Inwieweit sie von diesen besonderen Bedingungen getroffen werden und wie sehr sich daraus eine individuelle oder familiäre Problemlagen entwickeln, ist abhängig von persönlicher Resilienz, unterschiedlichsten Rahmenbedingungen und Ressourcen“, ergänzt Thomas Wüst, Leiter des Jugendamtes der Stadt Wetzlar.

Kitas und Vorschule

„Kritisch sehen wir, dass insbesondere die vorschulischen Angebote nicht stattfinden und der Austausch zwischen Kita und Grundschule nur noch eingeschränkt stattfinden kann“, sagt Bürgermeisterin Silvia Wrenger-Knispel aus Lahnau, die in der Bildungslandschaft Lahn-Dill die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vertritt. Der Verlust der sozialen Kontakte insbesondere bei den kleinen Kindern hat Auswirkungen auf deren sprachliche Fähigkeiten, ihre sozialen Kompetenzen und insgesamt auf die frühkindlichen Lernprozesse.

Schule

„Es ist wichtig, dass kein Kind und kein Jugendlicher auf der Strecke bleibt“, so Michael Scholz, Amtsleiter des Staatlichen Schulamtes für den Lahn-Dill-Kreis und den Landkreis Limburg-Weilburg. „Die Schülerinnen und Schüler müssen so schnell wie möglich wieder in die Schule. Die flächendeckenden Testungen helfen uns bei diesem Schritt.“ Des Weiteren sollten überall Lerncamps angeboten werden. Durch die reduzierten Unterrichts- und Lernzeiten gibt es einen riesigen Bedarf, da reichen einzelne Angebote nicht aus, ergänzt Kerstin Gerbig, Geschäftsführerin der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung, Ausbildungs- und Beschäftigungsinitiativen (GWAB) mbH. „Technisch sind unsere Schulen, unsere Schülerinnen und Schüler sowie zwischenzeitlich auch immer mehr unserer Lehrkräfte ganz gut aufgestellt. Und die hohe Nachfrage der Lehrkräfte nach Fort- und Weiterbildung zum digitalen Lernen zeigt auch, dass die Technik sukzessive immer mehr zum Einsatz kommt“, so Simone Vetter, Leiterin der Schulabteilung des Lahn-Dill-Kreises.

Neue digitale Bildungs- und Beratungsangebote

Die neuen digitalen Bildungs- und Beratungsangebote, die zwischenzeitlich bei allen Akteurinnen und Akteuren eingeführt wurden und gut angenommen werden, sind eine wichtige Möglichkeit der Kontaktaufnahme und für einige Zielgruppen auch gut geeignet. Doch dies täuscht nicht darüber hinweg, dass der persönliche Kontakt das A und O von Bildungs- und Beratungsprozessen ist, so Nadine Maihack-Stanzel, Pädagogische Leiterin der Lahn-Dill-Akademie. Insbesondere Jugendliche brauchen hierbei interessanterweise aber die größte Unterstützung. „Daddel-Meister“ sind nicht immer auch kompetent in der Nutzung von digitalen Medien zur Kommunikation oder zum Lernen, so Marlies Polkowski, Vorstand vom Kommunalen Jobcenter Lahn-Dill.

Ausbildung

Mit großer Sorge schätzt der Lenkungskreis der Bildungslandschaft Lahn-Dill die Situation auf dem Ausbildungsmarkt ein. Als starker Industriestandort ist es der Nachwuchs, der die Zukunft in den Betrieben sichert. Fehlende Berufsorientiertungsmöglichkeiten, wie z. B. die wichtigen Betriebspraktika, und insgesamt die Unsicherheit der Betriebe, veranlassen die Jugendlichen häufig dazu, länger auf der Schule zu bleiben als ursprünglich geplant. Die Anzahl offener Ausbildungsplätze ist groß, aber die Anzahl der Ausbildungsbewerberinnen und -bewerber ist gleichzeitig gesunken.

StudiumPlus

StudiumPlus kommt gut durch die Pandemie. Der Distanzunterricht lief von Beginn an sehr stabil. Rund 80% der Studierenden sind mit den Angeboten zufrieden. „Selbstverständlich vermissen aber auch unsere Studierenden den Austausch mit Kommilitonen und die persönliche Lerngruppe“, äußert sich Prof. Dr. Harald Danne, Leitender Direktor des Wissenschaftlichen Zentrums Duales Hochschulstudium.

Im Sinne einer Kommunalen Verantwortungsgemeinschaft sind alle direkten und indirekten Bildungsakteure aufgefordert, konkrete Angebote für ihre Zielgruppen umzusetzen. Das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ der Bundesregierung muss vor Ort gut und sinnvoll genutzt werden, damit der drohenden Bildungsbenachteiligung begegnet werden kann.

Erste Studienergebnisse

– Lernzeit von Schülerinnen und Schülern hat sich ungefähr halbiert (von 30 Std. auf 15-16 Std.)

– Lernverluste sind 60% höher bei Kindern mit niedrigem Bildungshintergrund
(Niederlande)

– Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen geht zurück

– Fehlende Sprachförderung